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Aus der Region: Bundespräsident Gauck lobte selbstlosen Einsatz der Seenotretter

Beigetragen von S.Erdmann am 30. Mai 2015 - 11:41 Uhr

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An diesem Wochenende wird die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger 150 Jahre alt. Gefeiert wird dieses in Bremen, wo die Gesellschaft ihren Hauptsitz hat und in Bremerhaven. Auf Juist gab es bereits seit 1861 eine Rettungsstation, die ab 1868 von der DGzRS übernommen wurde. Aus Anlass des Jubiläums der Seenotretter hat JNN-Redakteur Stefan Erdmann einmal eine Menge Wissenswertes über die Gesellschaft und ihre Arbeit zusammen getragen.

Langsam und vorsichtig fährt ein Rettungswagen über den Hafenkai im ostfriesischen Norddeich. Es ist kurz nach zwei Uhr in dieser Septembernacht und dichter Nebel liegt über Hafen und Wasser. Er stoppt im Westhafen vor dem Schwimmponton der DGzRS (Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger), wo das Norddeicher Rettungsboot "Cassen Knigge" am Steg dümpelt. Die andere Seite vom Ponton wird immer freigehalten für andere Schiffe der Seenotretter. Und das ist auch notwendig, denn nach wenigen Minuten sieht man Positionslampen eines Wasserfahrzeuges aus dem Nebel auftauchen. Grün, rot und in der Mitte ein weißes Licht zeigen an, dass sich da ein Boot auf den Steg der DGzRS zu bewegt.

Schon bald kann man erkennen, dass es sich um das Rettungsboot "Woltera" von der Insel Juist handelt, das am Ponton längsseits geht. Vormann Hauke Janssen-Visser (die Kapitäne der DGzRS nennen sich traditionsgemäß Vormann), einer der ehrenamtlichen Mitarbeiter der Gesellschaft, schottet den Rückwärtsgang ein, der 320 PS starke Diesel brummt kurz und stoppt die "Woltera". Der ebenfalls ehrenamtliche Rettungsmann Björn Westermann legt mit einer Leine das Schiff fest, und jetzt geht alles sehr schnell: Zusammen mit der Besatzung vom Rettungswagen wird eine Trage mit einem Kranken aus dem Boot geholt und in den Wagen geschoben. Keine zehn Minuten später ist der Patient, ein 69jähriger Heidelberger, der Urlaub auf Juist machte und plötzliche Herzschmerzen bekam, bei Fachärzten in der Ubbo-Emmius-Klinik im vier Kilometer entfernten Norden. Da tastet sich die "Woltera" schon längst wieder mittels Radar und GPS durch den Nebel in Richtung Juist. Denn ob Nachteinsatz oder nicht, am nächsten Morgen muss Janssen-Visser, der beim Land Niedersachsen im Bereich Küstenschutz tätig ist, wieder bei der Arbeit sein.

Krankentransporte von Inseln, Halligen oder Schiffen, wenn kein Hubschrauber fliegen kann, dass ist nur einer der vielfältigen Einsätze, die es bei der DGzRS gibt. Suche nach verirrten Wattwanderern, verschwundenen Windsurfern oder entkräfteten Kanuten, Hilfeleistung für in Seenot geratene Wassersport- oder Berufsschiffe, Brandbekämpfung auf Schiffen, Leistung von Schlepphilfe zur Vermeidung von Strandungen, Bergung von auf Grund geratenen Wasserfahrzeugen, es ist eine beeindruckende Einsatzpalette, welche die Männer und auch Frauen der DGzRS zu bewältigen haben. Und das nicht erst seit gestern, sondern bereits seit 150 Jahren.

An diesem Wochenende finden in Bremen und Bremerhaven die Festlichkeiten zum Jubiläum statt. Hierzu ist auch der Schirmherr der Gesellschaft, Bundespräsident Joachim Gauck, angereist. Er lobte in einem Festakt die Arbeit der Seenotretter: "Die Schiffbrüchigen sind ganz auf die Hilfe ihrer Retter angewiesen. Der Einsatz ist selbstlos, und er ist oft gefährlich." Das Staatsoberhaupt entstammt selbst einer Seefahrerfamilie. Gaucks Lebensgefährtin Daniela Schadt war Taufpatin für ein neues Rettungsboot, welches den Namen "Henrich Wuppesahl" erhielt und in Neustadt/Holstein stationiert werden soll. Ein weiterer Neubau wird am Samstag getauft, dieser kommt auf die Station der Insel Amrum.

Dabei war der Anfang der Seenotrettung alles andere als leicht. Am 6. November 1854 strandete vor Spiekeroog im schweren Herbststurm das Auswandererschiff "Johanne". 84 Menschen – darunter 25 Kinder - ertranken in der tosenden See, ohne das die Insulaner etwas tun konnten. Sechs Jahre später, im September 1860, lief die Brigg "Alliance" auf das gefürchtete Borkum-Riff auf und sank. Von der Besatzung des Seglers blieb niemand am Leben. Nach Schätzungen gerieten Mitte des 19. Jahrhunderts Jahr für Jahr mehr als 50 Schiffe allein vor den Inseln der deutschen Nordsee in Seenot. Mangelnde Organisation und Ausrüstung sowie das zum Teil noch ausgeübte Strandrecht verhinderten zu jener Zeit in vielen Fällen Rettungsmaßnahmen für Schiffbrüchige. Die Küstenbewohner betrachteten Seenot lange als unabwendbares Schicksal.

Von derartigen Katastrophen bewegt, forderten der Vegesacker Navigationslehrer Adolph Bermpohl und der Advokat Carl Kuhlmay 1860 in einem Appell an die Bevölkerung erstmals die Gründung eines Seenotrettungswerks in Deutschland. Sie fanden Mitstreiter in dem Bremer Redakteur Dr. Arwed Emminghaus und dem Emder Oberzollinspektor Georg Breusing. Unter Breusings Führung gründete sich in Emden bereits 1861 der erste regionale "Verein zur Rettung Schiffbrüchiger an der ostfriesischen Küste". Vorbild war die britische Royal Liveboat Institution, die bereits 1824 entstand, und auch bei den benachbarten Niederländer gab es bereits eine funktionierendes Rettungswesen. Breusing richtete zunächst auf Juist und Langeoog, dann auch auf anderen Inseln und an der Küste Rettungsstationen ein. Dem Emder Vorbild folgten weitere Vereine in Bremen, Hamburg, Kiel, Rostock und Danzig. Am 29. Mai 1865 schlossen sich die einzelnen regionalen Vereine in Kiel zur Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) zusammen, als Hauptsitz wählte man Bremen. Damit waren die Wegbereiter eines einheitlichen und unabhängigen deutschen Seenotrettungswerks am Ziel.

Spenden wurden gesammelt, und die Stationen konnten mit einfachen Ruderrettungsbooten, Raketen-Leinenschießgeräten und Hosenbojen ausgestattet werden. Es gelang, mutige Männer zu finden, die überall ihren selbstlosen Dienst "unter der Flagge der Menschlichkeit" aufnahmen. Mit Ruderrettungsbooten wagten sie sich durch die Brandung auf die Nord- und Ostsee, und immer wieder gelang die Rettung ganzer Besatzungen gestrandeter oder sinkender Schiffe unter widrigsten Umständen.

Mit Beginn der Motorisierung 1911 und dem Aufkommen gedeckter Motorrettungsboote etwa fünfzehn Jahre später vergrößerte sich der Einsatzbereich der Rettungsflotte ganz erheblich. Nun konnten die Seenotretter nicht nur in unmittelbarer Küstennähe helfen, sondern ihre Einheiten begaben sich auch weit hinaus auf See. Nach und nach wurde die Schifffahrt mit Funk ausgestattet, und damit war im Notfall auch eine Alarmierung möglich, wenn das Land weit außer Sicht war.

Während des Zweiten Weltkriegs war die DGzRS-Rettungsflotte "für Freund und Feind" verstärkt im Einsatz. Gekennzeichnet mit dem roten Kreuz, standen die Schiffe unter dem Schutz der Genfer Konvention, und soweit es die damaligen Verhältnisse zuließen, konnte die DGzRS ihre Eigenständigkeit bewahren.

Nach 1945 führte die DGzRS nach der Teilung Deutschlands ihre Arbeit in der Deutschen Bucht und in der westlichen Ostsee fort. Der Seenotrettungsdienst der DDR hingegen wurde staatlich organisiert. Im Funkraum unter dem Dach der neu gebauten Zentrale der DGzRS in Bremen sicherten von nun an drei Funker eine Rund-um-die-Uhr-Präsenz. Daraus entwickelte sich die SEENOTLEITUNG BREMEN. Von der Betriebsführungszentrale wurde sie bald zur nationalen Koordinierungsstelle für alle Maßnahmen des maritimen Such- und Rettungsdienstes in den deutschen Gebieten von Nord- und Ostsee, im internationalen Sprachgebrauch Maritime Rescue Co-ordination Centre (MRCC).

Ein technischer Meilenstein in der Weiterentwicklung der Rettungseinheiten war 1957 die Indienststellung der "Theodor Heuss", des ersten in Serie gebauten Seenotrettungskreuzers mit Tochterboot. Zuvor hatte man ab 1951/52 mit dem Versuchskreuzer "Bremen" (hierzu wurde das 1931 erbaute Motorrettungsboot "Konsul Kleyenstüber" umgebaut) erste Erfahrungen gesammelt und diesen Schiffstyp entwickelt. Neben der auf der Nachbarinsel Borkum stationierten "Theodor Heuss" entstanden die typgleichen Schwesterschiffe "Hamburg", "Ruhr Stahl" und "H.H.Meier". Damit begann eine neu Ära äußerst seetüchtiger, vielseitig einsetzbarer Rettungseinheiten, die zudem eine hohe Geschwindigkeit erzielen.

Ab 1963 wurde ein weiterentwickelter größerer Typ in Auftrag gegeben, diese drei Schiffe erhielten die Namen der Gesellschaftsgründer: "Adolph Bermpohl", "Arwed Emminghaus" und "Georg Breusing". Die letztgenannte Einheit, die ihre ganze Einsatzzeit auf Borkum stationiert war, liegt heute als Museumsschiff im Emder Ratsdelft. Auch die "Arwed Emminghaus", die nach ihrer Außerdienststellung viele Jahre in Island tätig war, liegt nun als Museumsschiff in Burgstaaken auf Fehmarn. Und auch andere Schiffe blieben erhalten: Der Versuchskreuzer "Bremen" liegt im Museumshafen vom Bremen-Vegesack, die "Theodor Heuss" wurde 1987 auf einer abenteuerlichen Fahrt über Wasser und Straße in das Deutsche Museum nach München gebracht, und der Transport der 44 Meter langen "John T. Essberger" ins Technik Museum nach Speyer gestaltete sich 2011 nicht ganz so einfach. Der Rhein führte Niedrigwasser und das Schiff wurde ab Köln auf einem flachgehenden Ponton verladen und nach Speyer geschleppt.

Für das Bauprinzip der Seenotkreuzer fand die DGzRS auch international viel Beachtung. Bis heute werden die vielfach weiterentwickelten Nachfolger höchsten Anforderungen mehr als gerecht. Die Seenotrettungskreuzer und -boote sind für alle Wetter- und Seegangsbedingungen ausgelegt. Ihre ausgezeichneten Manövriereigenschaften stellen sie auch unter härtesten Bedingungen immer wieder unter Beweis.

1990 – vor nunmehr 25 Jahren – kehrte die DGzRS auf ihre früheren Stationen zwischen Poel und Ueckermünde zurück, und innerhalb weniger Jahre gelang es, den Seenotrettungsdienst in Mecklenburg-Vorpommern an den technischen Standard in der Deutschen Bucht und der westlichen Ostsee anzugleichen.
Zur Erfüllung ihrer vielfältigen Aufgaben verfügt die Gesellschaft heute über eine Rettungsflotte von rund 60 modernen, leistungsstarken Seenotrettungskreuzern und -booten auf 54 Stationen zwischen Borkum im Westen und Ueckermünde im Osten. Die 180 fest angestellten und mehr als 800 freiwilligen Rettungsmänner und -frauen sind bei jedem Wetter, an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr zum Einsatz bereit.

Im Mittelpunkt des Rettungswerkes steht trotz aller technischen Neuerungen nach wie vor der Mensch: die freiwillige Bereitschaft der Seenotretter zu ihren nicht selten gefahrvollen Einsätzen. Allein 2014 haben sie 768 Menschen aus Seenot gerettet oder aus drohenden Gefahren auf See befreit. Rund 82.000 Menschen verdanken ihnen seit Mitte des 19. Jahrhunderts schnelle Hilfe. 45 Männer der DGzRS ließen in dieser Zeit ihr Leben im Einsatz.

Die kleineren Einheiten werden von ehrenamtlichen Helfern wie Hauke Janssen-Visser und Björn Westermann besetzt, die großen Kreuzer an den zentralen Gefahrenpunkten sind mit hauptamtlichen Kräften besetzt, die im 14-Tages-Rhythmus an Bord Dienst tun. Einer von ihnen ist Gerd Schwips (52). Er war ab 1985 zunächst freiwilliger Seenotretter, in seinem Fall auf Juist, bevor er ab 2008 Jahre hauptamtlicher und fest angestellter 2. Vormann auf der "Bernhard Gruben" der Nachbarstation Norderney wurde.

Seine regionale Revierkenntnis kommt ihm und seiner Besatzung im Einsatz immer wieder zugute. "Wir fahren dahin, wo es weh tut, wo der Havarist liegt, in die Brandung, wo Angst da ist vor den Naturgewalten", beschreibt Schwips typische Einsatzumstände im gezeitengeprägten Nordseerevier. Und er weiß nur zu gut, dass der Seenotretter-Alltag das beste Training ist: "Den Umgang mit den Naturgewalten lehrt keine Schule. Wenn es hart auf hart kommt, zählen Erfahrungswerte. Jeder Einsatz bringt Dich ein Stück weiter."

Und noch eine Besonderheit gibt es bei den Seenotrettern: Die Seenotrettung kostet dem Steuerzahler keinen Euro! Die Arbeit der DGzRS wird – heute wie vor 150 Jahren - ausschließlich aus freiwilligen Zuwendungen finanziert. Zum einen durch regelmäßige Förderer, zum anderen durch die Aufstellung von Sammelschiffchen, die sicher ein jeder schon mal irgendwo gesehen haben wird. Geld kommt nämlich nicht nur von der Küste, sondern die Gesellschaft findet im gesamten Bundesgebiet viel Unterstützung. Rund 14.000 dieser Schiffchen versehen bei der Gesellschaft ihren Dienst.

Auf Juist wird sich die DGzRS am "Tag der Retter" der Öffentlichkeit zeigen. Dieser ist für Samstag, den 25. Juli 2015, vorgesehen. Die der Name schon sagt, wird es nicht nur um die Seenotretter gehen, auch das DRK Juist und die Freiwillige Feuerwehr werden an diesem Tag am Hafen mitwirken. Dafür entfallen die Tage der offenen Tür dieser Institutionen im Ort in diesem Jahr.

Die DGzRS ist im Internet zu finden unter: www.150-jahre-seenotretter.de oder www.seenotretter.de

Unsere Fotos zeigen einen kleinen Abriss aus der Arbeit der DGzRS:

Das Juister Rettungsboot "Woltera" an ihrem Liegeplatz vor dem Otto-Mann-Haus im Juister Osthafen.
JNN-ARCHIVFOTO: MICHAELA FRIEDRICHS

Ein Ruderrettungsboot aus der Anfangszeit der DGzRS wird über den Strand zum Einsatzort gezogen.
JNN-ARCHIVFOTO: DGZRS DIE SEENOTRETTER

Ruderrettungsboot im 19. Jahrhundert im Einsatz.
JNN-FOTO: DGZRS – GEMÄLDE VON CLAUS BERGEN

Juister Rettungsboot wird vom Rettungsschuppen an der Karl-Wagner-Straße zum Strand gebracht. (Das große Gebäude im Hintergrund ist das Pax-Heim
JNN-ARCHIVFOTO: UNBEKANNT (es handelt sich wohl um das Motiv einer Ansichtskarte aus der damaligen Zeit) ARCHIV VON STEFAN ERDMANN

Juister Rettungsboot "Woltera" auf einer Kontrollfahrt
JNN-ARCHIVFOTO: MICHAELA FRIEDRICHS

Seltener Gast im Juister Hafen. Der Reservekreuzer "Vormann Leiss" war ebenso schon auf Juist zu Gast wie auch die "Hannes Glockner".
JNN-ARCHIVFOTO: STEFAN ERDMANN

Der Juister Gerd Schwips ist als 2. Vormann auf der "Bernhard Gruben" von der Nachbarinsel Norderney tätig.
JNN-FOTO: PER KASCH@SEVERINWENDELER

Die "Bernhard Gruben" im Sturm unterhalb der Insel Norderney unterwegs.
JNN-FOTO: DGZRS DIE SEENOTRETTER/FRANK KAHL

Tag und Nacht einsatzbereit liegt auch der Seenotkreuzer "Alfried Krupp" der Nachbarstation Borkum auf seinem Liegeplatz im Schutzhafen.
JNN-ARCHIVFOTO: MICHAELA FRIEDRICHS

Der "John T. Essberger" liegt als Museumsschiff jetzt im Technik-Museum in Speyer.
JNN-ARCHIVFOTO: STEFAN ERDMANN

 
Links
  1. http://www.juistnews.de/artikel/view/Main/Aus der Region/
  2. http://www.juistnews.de/newsbilder/pic_sid5364-0-norm.jpg
  3. http://www.juistnews.de/Printer/artikel/2015/5/30/bundesprasident-gauck-lobte-selbstlosen-einsatz-der-seenotretter/
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