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News: Im Eiswinter vor 50 Jahren sicherten Hubschrauber die Inselversorgung

Beigetragen von JNN am 15. Feb 2013 - 21:28 Uhr

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Wärmerekorde am Weihnachtsfest 2012, im Januar war es dann für etwa zwei Wochen kalt, Anfang Februar wurde es schon wieder wärmer mit zweistelligen Plusgraden. Genau 50 Jahre zurück, da konnte davon keine Rede sein, ganz im Gegenteil. 52 Tage war Juist ohne Schiffsverbindung. JNN-Redakteur Stefan Erdmann erinnert hier ausführlich an die Ereignisse, die vor einem halben Jahrhundert die Insel bewegten.

Der Winter 1962/63 war in jeder Hinsicht in Deutschland etwas Besonderes. Er war so kalt, das sogar der Bodensee komplett zugefroren war, was es seitdem nicht wieder gegeben hat. Ab dem 20. Dezember 1962 setzte harter Frost ein, der Ostfriesland und besonders den Inseln schwer zu schaffen machen sollte.

Bereits drei Tage später kam kein Schiff mehr zur Insel Juist durch, auch der Verkehr zu den Inseln Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge wurde nach und nach eingestellt. Norderney und Borkum konnten teilweise nur mit Schwierigkeiten erreicht werden. Es sollte 52 Tage dauern, bis wieder ein Schiff die Insel Juist erreichte, und im westfälischen Rheine begann zwischen den Jahren die Aktion "Winterübung zur Versorgung der Inseln".

Die Insulaner sahen es indes kaum als Übung an, denn für sie war das der absolute Ernstfall. Neben Lebensmitteln, die schnell zuneige gingen, waren es vor allem Brennstoffe, auf die man wegen der extremen Kälte in großen Mengen angewiesen waren. Die Erdgasleitung vom Festland kam erst zehn Jahre später, d. h. Heizöl, Kohle, Brikett und auch Holz diente damals als Material zum Heizen und Kochen.

Da es aufgrund der Vorhersagen abzusehen war, dass es sich um eine länger dauernde Unterbrechung handeln würde, sah der damalige Landkreis Norden und der Regierungspräsident, der noch seinen Sitz in Aurich hatte, schon bald Handlungsbedarf und baten um Hilfe von Land und Bund. Bereits ab dem 28. Dezember 1962 übernahm die Bundeswehr die Inselversorgung mit zunächst drei Hubschraubern. Diese flogen erst einmal Post, Milch und andere Lebensmittel nach Juist. Der damalige Hubschrauberpilot und Hauptmann a. D. Dieter Weßler erinnert sich aber noch daran, bereits vor Weihnachten einen ersten Versorgungsflug zur Insel Memmert durchgeführt zu haben.

Auf Juist landete man am alten Bahnhof (heute Nationalparkhaus/OLB und Kompass) direkt vor dem Ort. Hier befinden sich heute die Straße zum Hafen eine Grünfläche und der Spielplatz; damals begann dort gleich das Wattenmeer, denn den heutigen Deich gab es noch nicht. In Norddeich startete und landete man vor dem Hotel "Fährhaus" in der Nähe vom Schiffsanleger, weitere Abflugorte waren Nessmersiel, Bensersiel und Harlesiel. Die Aufgabe der Inselversorgung oblag damals dem "Heeresfliegerbataillon 100" aus Rheine-Bentlage (das heute "Mittleres Transporthubschrauberregiment 15" heißt).

Durch einen glücklichen Umstand konnten die Heeresflieger ihre Ausgangsbasis während der "Eiszeit" auf dem Militärflughafen Wittmund einrichten. Da die Verlegung des Richthofengeschwaders von Alhorn nach Wittmund zwar bevorstand, aber noch nicht vollzogen war, gab es zwar den Flugplatz mit allen Einrichtungen, aber noch keine Flugzeuge. "Das war ganz gut gewesen, denn so ist außer unseren Hubschraubern niemand unterwegs gewesen", erinnert sich Weßler. Somit konnten die Hubschrauber dort nicht nur betankt, sondern auch nachts in den Hallen untergestellt werden.

Als Einsatzoffizier fungierte der damalige Oberleutnant Klaus Jablonski, welcher später als Oberstleutnant Kommandeur in Bentlage wurde. Staffelkapitän war 1962 der Hauptmann Günther Gerlach. Ausgerüstet waren die Heeresflieger damals mit Hubschraubern vom Typ Sikorsky H-34 G.

Unter der Bezeichnung S-58 erlebte dieser mittlere Transporthubschrauber seinen Erstflug am 08. März 1954. Er stellt den Höhepunkt einer Serie von Hubschraubern mit Kolbenmotorantrieb dar und hatte einen luftgekühlten Wright-Sternmotor mit neun Zylindern. Eine Besonderheit war der Einbau, der nicht unter dem Hauptrotor erfolgte, sondern in einer Schräglage ganz vorne platziert war. Somit war der Bug vergleichbar mit einer Motorhaube. Über eine Welle wurde die Kraft (1.425 PS) zum Haupt- und Heckrotor geleitet.

Nachdem es bei jeder Waffengattung verschiedenste Typenbezeichnungen für den Hubschrauber gab, wurde die Maschine von den US-Luftstreitkräften ab 1962 unter der einheitlichen Bezeichnung H-34 geführt, für die BRD die H-34 G (das G stand für Germany). Obwohl die verbauten Sternmotoren schon bei der Einführung nicht mehr Stand der Technik waren, erwies sich der Hubschrauber mit seiner relativ großen Einsatzreichweite von 535 Kilometern für die Bundeswehr als ein ideales Luftfahrzeug, das aufgrund seiner hohen Zuverlässigkeit bei der Truppe sehr bliebt war. Teilweise wurden sie mit einer Winde ausgestattet und so bei vielen SAR-Einsätzen zur Hilfe geholt, unter anderem bei der verheerenden Sturmflut am 17. Februar 1962. Bis 1973 flogen Maschinen dieses Typs bei der Bundeswehr, dann wurden die letzten von ihnen ausgemustert. Lange Zeit stand noch ein Exemplar im Eingangsbereich der Theodor-Blank-Kaserne in Bentlage, welches aber zwischenzeitlich dort entfernt wurde und in ein Hubschraubermuseum soll. Weitere finden sich ebenfalls nur noch in Museen, wie etwa das Hubschraubermuseum Bückeburg oder im Technikmuseum Sinsheim-Speyer.

Für die Entladung der Hubschrauber war damals die Freiwillige Feuerwehr Juist im Einsatz. Der Juister Wilhelm Arneke, der später in der Wehr als stellvertretender Gemeindebrandmeister diente, war damals 25 Jahre alt und als junger Feuerwehrmann mit dabei. Er erinnert sich: "Erst hatte man die Ölfässer in Netzen unter die Maschinen gebunden, später transportierte man diese im Frachtraum. Etwa zwölf Fässer mit je 200 Litern konnte ein Hubschrauber mitbringen." - "Es hatte zwar jeder Juister im Winter immer etwas mehr Kartoffeln, Konserven und andere Lebensmitteln im Keller, doch Frischwaren gingen schon bald aus," weiß Jan Broer, der ebenfalls als 26jähriger Feuerwehrmann bei der Entladung half: "Not kam erst auf, als das Tierfutter zuneige ging. "Spätestens von da an waren wir auf die Hilfeleistung durch die Hubschrauber angewiesen", beschreibt auch Arneke die damalige Situation.

Ob die Lage - besonders am Anfang - so prekär war, bezweifelt Pilot Weßler etwas: "Wir haben auch Kühlschränke geflogen - bei 20 Grad minus. Wichtig waren in jedem Fall Heizöl und Lebensmittel." Aber auch die Post benötigten die Vermietbetriebe, denn früher wurden Anfragen und Bestätigungen für Unterkünfte ausschließlich per Briefpost abgewickelt. Die Monate Januar und Februar waren schon damals die Hauptvermietungsmonate für den Sommer.

Die Versorgung klappte sehr gut und spielte sich schnell ein. "Jeder Insel standen zwei Flugtage in der Woche zu", weiß Dieter Weßler noch zu berichten. Probleme gab es indes bei der Versorgung mit Bier. Beim Militär hatte man nämlich entschieden, dessen Transport abzulehnen, weil Bier kein dringend benötigtes Lebensmittel sei. Das sahen die Insulaner allerdings total anders, und ihre Lieferanten und Gastwirte zeigten sich erfinderisch. So kamen die ersten Bierfässer in Postsäcken, später wurden sie in Kohlesäcke gesteckt und sorgsam Koks drum herum platziert. Das war aber nicht nur nach Juist so, auch in Nessmersiel wanderten Bierfässer und auch Schnapskisten in die Postsäcke, um den Durst der Baltrumer zu stillen. Die Soldaten hätten die ganze Zeit über mehr als nur ein Auge zugedrückt, erinnert sich Pilot Rudolf Humme: "Wir haben uns alle gut verstanden. Wir wussten auch nicht, wenn die eingeladen haben, was da drin war in ihren Kartons." Obwohl nun keinerlei Frachtkosten anfielen, erfanden die Gastwirte auf Juist indes wegen der hinderlichen Versorgung spontan einen "Fliegergroschen" und erhöhten den Preis für ein Glas Bier um zehn Pfennig.

Leider kam es während der Versorgungsaktion auch zu einem tödlichen Unfall, dieses geschah auf der Insel Langeoog. Dort wurde ein Bristol-Sycemore-Hubschrauber der Luftwaffe eingesetzt, dieser hatte seinen Heckrotor sehr tief sitzen und war damals auch noch nicht mit einem heute üblichen Schutzbügel versehen. Ein Mitarbeiter vom Flugplatz versuchte, neugierige Zuschauer vom Hubschrauber fern zu halten, ging dabei einige Schritte zurück und geriet in den Heckrotor.

Auf Juist kam es zu einem Zwischenfall mit einem Schwan. Dieter Weßler war damals zusammen mit Rudolf Humme mit einer beladenen H-34 auf dem Wege nach Juist. Er erinnerte sich noch ganz genau: "Im Landeanflug - wir waren noch in einer größeren Höhe - kamen uns plötzlich einige Schwäne entgegen. Wir versuchten ein Ausweichmanöver, denn so ein Tier kann die Cockpitscheiben ohne weiteres durchschlagen. Auch die Schwäne wichen verschreckt aus, einen erwischten wir jedoch noch mit dem Heckrotor. Trotzdem gelang es uns, relativ unbeschadet und sicher auf Juist zu landen."
Nach einer technischen Überprüfung und dem Auswechseln der Rotorblätter konnte die leicht beschädigte Maschine am Tag darauf wieder starten.

Als die Temperaturen im Februar 1963 wieder etwas anstiegen, setzte sich auch der Juister Kapitän Albertus Claassen am 13. Februar in einen Hubschrauber, erkundete die Eislage von oben und wagte einen Tag später mit der damaligen "Frisia VI" die Fahrt durch das Eis. Gegen 15 Uhr machte Claassen und seine Besatzung am Juister Anleger fest, nach 52 Tagen hatte ein Schiff wieder die Insel erreicht.

Ab dem 14. Februar war das den Insulanern so vertraute Dröhnen der Hubschrauber nicht mehr zu hören, und man verlegte die Einheiten langsam wieder zurück nach Rheine. Bis zum 8. März dauerte es dann noch, bis der Anleger eisfrei war. In dieser Zeit fuhr aber trotzdem täglich einmal ein Fahrgastschiff mit einem Frachtschiff im Anhang nach Norddeich und zurück.

Als sich während der Hubschrauberzeit an einem Abend die Sichtverhältnisse verschlechterten, mussten die Hubschrauber auf der Insel bleiben, ebenso stand die durch den Schwan beschädigte Maschine eine Nacht am alten Bahnhof auf Juist. In diesen Nächten entstand eine Freundschaft zwischen den Heeresfliegern und den Feuerwehrleuten der Insel, die viele Jahre anhielt und von beiden Seiten gepflegt wurde, insbesondere in der Zeit, als Klaus Jablonski Chef der Heeresflieger war.

Große Verdienste bei der Durchführung dieser Freundschaftsbesuche erwarb sich auch Hauptmann a.D. Theo Simanski, der auch heute noch gerne zur Ausübung seiner Leidenschaft für die Jagd nach Juist kommt. So fanden 1984, 1987 und 1989 Besuche der Juister in Rheine statt, 1988 waren Heeresflieger aus Bentlage beim 90jährigen Jubiläum der Feuerwehr auf Juist. Zwei Jahre später war eine Abordnung der Insulaner beim Jubiläum "30 Jahre Heeresflieger in Rheine" dabei, und in den Jahren 1992 und 1993 fanden Werbeveranstaltungen für die Truppe auf Juist statt. Die Verbindung zwischen den Heeresfliegern und der Feuerwehr brachen jedoch danach ab, da es überall zu Personalwechseln kam. Die Hubschrauberpiloten von damals sind im Ruhestand und bei der Juister Feuerwehr sind es lediglich einige Alterskameraden, so wie die schon erwähnten Wilhelm Arneke und Jan Broer, die im Eiswinter aktiv dabei waren.

Gedrückte Stimmung herrscht auch beim Regiment in der "Theodor-Bank-Kaserne." Im Zuge der Bundeswehrreform steht das "Mittlere Transporthubschrauberregiment 15" vor seiner Auflösung. Die Hubschrauber werden zukünftig der Luftwaffe unterstellt und zum "Hubschraubertransportgeschwader 63" gehören. Dieses hat seinen Sitz in Laubheim (Baden-Württemberg) und einen weiteren Standort in Holzdorf (Sachsen-Anhalt). "Am 30. Juni dieses Jahres ist Schluss mit den Heeresfliegern hier in Rheine", erklärt Hauptmann Adrian Katterbach aus der Pressestelle. Da der Standort Holzdorf noch nicht soweit wie geplant ausgebaut sei, würden noch einige Hubschrauber bis etwa Mitte 2014 in Bentlage verbleiben und von dort aus fliegen. War erst geplant, 100 Millionen Euro in der Modernisierung des Standortes Bentlage bis 2017 zu verbauen, gab die Bundeswehr im Oktober 2011 die Aufgabe des Standortes bekannt.

Nach dem Abzug der Heeresflieger bleiben vorerst noch das Kraftfahrtausbildungszentrum, eine Inst-Truppe, und ein Sanitätszentrum. Doch 2017 wird der letzte Soldat definitiv die traditionsreiche Garnisonsstadt verlassen, die in guten Zeiten mit rund 9.000 Soldaten einer der größten Standorte in NRW war. Auch für die Soldaten und deren Familien, die sehr mit der Stadt verwachsen und im öffentlichen Leben, in Vereinen usw. aktiv sind, ist es nicht leicht, bedauert Katterbach. Nur rund 300 Soldaten übernimmt die Luftwaffe, weitere 700 müssen ihrer Qualifikation entsprechend an anderen Standorten untergebracht werden. "Keine leichte Aufgabe angesichts einer sich komplett verkleinernden Bundeswehr", so der S1-Offizier.

Es war das einzige Mal, dass eine solche Hubschrauberaktion in dieser Form durchgeführt wurde. In schweren Eiswintern vor dem 2. Weltkrieg und 1947 gingen die Insulaner zu Fuß über das Watt, um Mehl und Lebensmittel zu holen. Mit dem heute 93jährigen Juister Karl Pilz gibt es sogar noch einen Zeitzeugen, der 1947, also vor 66 Jahren, bei den nicht ganz ungefährlichen Märschen über das Wattenmeer dabei war.

Auch versorgte man die Inseln mit Rettungsbooten über den Strand an der Ostspitze (Kalfamer), große Verdienste erwarb sich hier das DGzRS-Rettungsboot "Norderney", welches auf der gleichnamigen Nachbarinsel viele Jahre lang stationiert war. Im Eiswinter 1956 wurden Lebensmittel von Flugzeugen per Fallschirm auf den Hellerflächen abgeworfen. In späteren Wintern ohne Schiffsverbindung (die aber nie annähernd so lange dauerten wie 1962/63) fand die Versorgung mit den regulären Inselflugzeugen statt, denn zwischenzeitlich war der Flugplatz Norddeich entstanden, auf Juist gab es nun eine gepflasterte Landebahn und zweimotorige Maschinen erlaubten höhere Nutzlasten als im Eiswinter vor fünfzig Jahren. Die Heeresflieger aus Rheine waren allerdings im Jahr 1979, das als "Schneewinter von Ostfriesland" in die Geschichte einging, wieder in der Region tätig, jetzt um die Festlandsbevölkerung im eingeschneiten Ostfriesland zu versorgen.

Fünfzig Jahre ist die Versorgungsaktion mit den Heeresfliegern aus Bentlage jetzt her, aber den Insulanern und Gästen ist bis heute eine Sache aus dem Winter geblieben: Der "Fliegergroschen" für das Bier! Dieser wurde nämlich nach Einstellung der Hubschrauberversorgung von keinem Gastwirt bis heute wieder vom Preis runter genommen.

JNN-FOTOS: Die Fotos stammen alle aus dem Archiv der Firma "Foto Brunke". Dieses befindet sich jetzt beim Heimatverein Juist. Wir bedanken uns bei Andreas Arneke, der die Bilder zur Verfügung stellte und die alten Negative für die Veröffentlichung digitalisierte.